Gletscher in Europa in Gefahr: Forscher veröffentlichen „Gefallenenliste“ (2024)

Der isländische Gletscher Okjökull war mehrere hundert Jahre alt, ein Koloss aus Eis, dutzende Meter hoch. Im August 2019 wurde er symbolisch beerdigt. Forscher und Politiker in Island verabschiedeten ihn mit einer Gedenkfeier. Weltweit sterben Gletscher, übrig bleiben nur Geröll und Gestein. Die US-amerikanische Rice University veröffentlich im Internet die „Global Glacier Casualty List“, die „Gefallenenliste der weltweiten Gletscher“. Über das Gletschersterben hat SWR-Aktuell-Moderator Arne Wiechern mit der Gletscherforscherin Isabell Gärtner von der Uni Zürich gesprochen. Sie arbeitet dort beim World Glacier Monitoring Service.

SWR Aktuell: Mit der Liste für die Toten Gletschern oder der „Beerdigung“ auf Island wollen Wissenschaftler auf das Gletschersterben aufmerksam machen. Wie finden Sie als Forscherin solche Aktionen?

Isabelle Gärtner-Roer: Es ist sehr wichtig, dass wir Unterstützung bekommen von der Öffentlichkeit. Wir sammeln ja die Daten global. Wir stellen zusammen, was alle unsere Kollegen weltweit messen, auf den verschiedenen Gletschern über die ganze Welt verteilt. Das ist aber nur eine kleine Anzahl der etwa 200.000 Gletscher, die es weltweit gibt. Und dann gibt es solche Aktionen wie die vor fünf Jahren in Island, die uns helfen, die Message rüberzubringen, die Leute darauf hinzuweisen, was da verloren geht. Und das wäre das Anliegen von dieser Tafel, die da am Gletscher vor fünf Jahren installiert wurde, auch zu zeigen: Wir sind uns voll bewusst, was da auf uns zukommt, und wir wissen, was wir tun. Wir wissen, dass die Gletscher weiter zurückgehen werden. Und im Falle Islands heißt es, dass in den nächsten 200 Jahren wahrscheinlich alle Gletscher in Island verschwinden werden. Das ist die Message, mit der wir an die Öffentlichkeit gehen wollen.

SWR Aktuell: Die Gedenktafel haben Sie gerade schon angesprochen. Brauchen wir eigentlich so ein Mahnmal an allen ehemaligen Gletschern?

Gärtner-Roer:Sicher nicht. Wir haben ja auch in den Alpen verschiedene Orte, wo dann angezeigt wird: Hier war der Gletscher 1980, 2010 et cetera, um den Touristen, den Wanderern, die dort vor Ort sind und jetzt noch die schönen Gletscher sehen, zu zeigen: Nur Teile davon sind noch da, der war mal viel größer - und wie schnell dieser Verlust, dieser Rückgang passiert, vor allem in den letzten 20 Jahren. 2000 sehen wir als so ein Jahr an, seit dem es deutlich schlimmer geworden ist. Es gibt verschiedene Arten, das zu zeigen. Eine Gedenktafel ist ein Hinweis, wo der Gletscher wann gewesen ist. Es gibt auch Telefonhäuschen in Österreich, wo man anrufen kann und den Gletscher beim Schmelzen zuhören kann. Es werden also unterschiedliche Sinne angesprochen, unterschiedliche Orte. Und bei dieser Liste, die Sie erwähnt haben, geht es darum, auch das Internet zu nutzen, auch wenn Sie nicht vor Ort sind. Es geht darum, zu zeigen, dass diese Gletscher verschwinden, dass die Anzahl der toten oder „beerdigten“ Gletscher zunimmt - und wie die Verteilung ist, wo die sind, da gibt es Steckbriefe. Da kann man ein bisschen mehr über die Gletscher erfahren. Auch das ist wieder einen Weg, darauf aufmerksam zu machen, was da passiert, was wir eigentlich auch schon wissen.

SWR Aktuell: In den vergangenen Monaten und Jahren sind wir weltweit von einem Temperaturrekord zum nächsten geeilt. Wie sehr hat sich die Lage für Gletscher gerade auch in Europa dadurch verschlechtert?

Gärtner-Roer: Es ist so, dass wir früher immer schon mal noch Jahre hatten, wo die Werte nicht so negativ waren. Das hat sich mit dem Jahr 2000 verändert. Wir sind komplett im negativen Bereich. Wir hatten zum Teil noch Regionen wie Westnorwegen, wo wir manchmal positive Werte hatten, weil dort dann manchmal Luftmassen ankommen, die sehr viel Niederschlag in Form von Schnee bringen und dann die Gletscher dort eben positive Werte zu verzeichnen hatten. Auch das ist in den letzten Jahrzehnten nicht mehr der Fall gewesen. Island hatte eine Zeit lang positive Werte. Auch da sind ja noch sehr viele Gletscher oder sehr viel Eis zu finden im Vergleich zu den Alpen. Das hat sich schon sehr auf die negative Seite gedreht. Im letzten Messjahr hatten wir, glaube ich, von allen Gletschern, von denen wir Messungen haben, nur einen, der einen positiven Wert gezeigt hat. Und früher waren das mal 10 oder 15. Man konnte auch manchmal so regionale Muster erkennen. Das ist jetzt in den letzten Jahren nicht mehr der Fall gewesen.

SWR Aktuell: Welchen Appell haben Sie an die Politik, um diese Entwicklung zu stoppen?

Gärtner-Roer: Der Appell ist klar: Reduzierung der Treibhausgase. Das geht uns alle an. Aber es geht hier natürlich auch darum, dass auch Länder wie Deutschland – ich meine, wir haben nur noch winzige Gletscherreste im Bereich der Zugspitze - mit an einem Strang ziehen, global Verantwortung zu übernehmen für Regionen wie zum Beispiel die Anden, die wirklich stark von diesem Wasser, das in den Gletschern gespeichert ist, abhängen, und wo die Ausmaße durch die Veränderungen deutlich zu spüren sind, auch für die Menschen, die dort leben. Das geht uns alle was an, und da müssen wir einfach alle global an einem Strang ziehen.

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